"Du
glühst ja wie ein Ofen"
Der
Spiegel berichtet in der Ausgabe 49/1997 (S. 80 - 87) vom Stollen mit
den geheimnisvollen Heilkräften in Nordenau:
Besitzer
des Stollens und des direkt danebenliegenden Hotels sei Theo Tommes, 48,
der das Anwesen geerbt habe. Sein Urgroßvater habe in dem Stollen
noch bis 1927 Schiefer abgebaut und später habe seine Mutter das
Hotel errichtet, in dem der Hotelier die Höhle bis 1991 als Weinkeller
benutzte.
Eines Samstagsmorgens habe ein holländischer Urlauber, der Klempner
Alvin van Balkom, den Stollen besucht und und prophezeit, dass dies ein
zweites Lourdes werden könnte. Der sich übernatürlicher
Fähigkeiten rühmende van Balkom gelte seitdem als Entdecker
der Nordenauer Heilkräfte. Er habe auch als erster behauptet, die
geheimnisvolle Energie zu spüren. Ihm sei plötzlich derart heiß
geworden, dass auch die Leute ringsum ihre Jacken ausgezogen hätten.
Seine Frau habe gesagt: "Mensch Alvin, Du glühst ja wie ein
Ofen."
Bald seien Besucher in so großer Zahl gekommen, dass Hotelier Tommes
den Stollen ausbauen ließ und sein Hotel erweitern mußte.
Laut Tommes seien ihm von Investoren schon Millionen für seine Geldquelle
geboten worden. Er habe bisher aber alle Übernahmeangebote ausgeschlagen,
so stelle sich Tommes gern als Wohltäter dar. "Stollen und Wasser
sind Geschenke" verkünde er treuherzig, "und Geschenke
verkauft man nicht. Man verschenkt sie weiter."
Doch umsonst sei ein Stollenbesuch nicht, zehn Mark koste der Eintritt;
Nonnen, die oft in Gruppen anreisen, hätten aber freien Eintritt.
An der Kasse gebe es auch mit Quellwasser versetzte Kosmetika zu kaufen,
wie etwa Gesichts- und Hautcreme für 24,90 Mark, Massage-Gel für
17,90 Mark und "Super-Haarwasch-Therapeutikum mit Lacto-Protein"
für 27,90 Mark. Bäcker Rötz schiebe im Ort täglich
ein Spezialbrot in den Ofen, dessen Teig unter Verwendung von Stollenwasser
angerührt werde.
Das Hotel, das früher im November leer gestanden habe, sei nun ständig
ausgebucht und Tommes könnte häufig 100 Zimmer mehr vermieten.
Einige Gäste blieben viele Wochen, um täglich mehrmals die Höhle
zu besuchen. Empfohlen würden wegen des Strahlenrisikos aber höchstens
zwei Aufenthalte pro Tag. Laut Schildern am Eingang wären häufigere
Besuche ungesund.
Die Spiegel-Reporter verfolgten an einem normalen Herbsttag den Betrieb
der Grotte. Bereits um neun Uhr warteten schon rund 50 Menschen, um sich
durch einen engen, niedrigen Gang in den stillgelegten Schieferstollen
"Brandholz" im Hochsauerland zu drängeln. Die Luft in der
Höhle sei kühl und feucht. Es tropfe von der Decke und aus einem
Rohr sprudele Wasser. Zitat: "Was aussieht wie die Kulisse zu einem
absurden Theaterstück, ist das deutsche Lourdes: Erdstrahlen und
Quellwasser sollen die Besucher von ihren Gebrechen kurieren."
Stollenführer Gerhard Himmelreich ermahne die Gäste, nicht zu
sprechen, sich nur zu entspannen und die Arme hängenzulassen. Die
Besucher blieben stumm auf den weißen Plastikstühlen sitzen
oder stünden reglos an den Wänden. Viele würden die Augen
geschlossen halten.
Nach 20 Minuten würde das Scheppern eines Weckers die Versammlung
beenden und die Gäste würden zum Ausgang geführt, wobei
jeder beim Hinausgehen einen Plastikbecher mit Quellwasser bekäme.
Eine 58-jährige Besucherin aus Bielefeld berichtete draussen, dass
sie sofort Energie gespürt habe. Ihr linkes Knie sei verschlissen
und sie sollte ein künstliches Gelenk bekommen. Nach vier Sitzungen
laufe sie angeblich wieder fast wie früher. Die Energie habe den
Kalk im Gelenk abgebaut. Ihrer Tochter, einer Ärztin habe sie nicht
von den Besuchen im Stollen erzählt, da diese auf die Schulmedizin
schwöre.
Laut dem Spiegel sind viele Besucher der Grotte von der Schulmedizin aus
verschiedenen Gründen schwer enttäuscht. Viele seien von ihren
Ärzten aufgegeben worden. Andere seien die Pillen, Spritzen, Bestrahlungen
und Operationen leid. Und alle hätten von Bekannten oder Verwandten
märchenhafte Geschichten über Nordenau gehört.
Begeisterte Pilger erzählten, dass die geheimnisvollen Erdstrahlen
Linderung bewirkten. Auch das nicht wie üblich beim Abfließen
rechtsherum drehende, sondern linksherum drehende Quellwasser, spende
beim Trinken oder Einreiben auf die Haut Gesundheit.
Zitat: "Dank solcher Erzählungen ist der gerade mal 300 Einwohner
zählende Flecken zu einem Wallfahrtsort für Wundergläubige
aus der ganzen Welt geworden. Täglich pilgern Hunderte in die Höhle,
an Sommertagen, wenn Doppeldecker-Busse aus der Schweiz und den Niederlanden
anrollen, sind es oft bis zu tausend.
Über 100.000 Menschen reisen jährlich zur "Wundergrotte",
bevölkern Pensionen, Hotels und Gaststätten - für die Region,
in die sich zuletzt immer weniger Urlauber verirrten, ein wahres Wunder."
Der Kurdirektor der Stadt Schmallenberg, zu der Nordenau gehört,
gestehe auch, dass es ohne den Stollen düster aussähe.
Laut dem Spiegel finden inzwischen zwei Drittel aller Deutschen alternative
Heilverfahren oft besser als die Schulmedizin und 65 Prozent geben bei
Umfragen zu, dass sie sich bei unheilbarer Krankheit auch Laien anvertrauen
würden. Den Besuchern sei es daher auch egal, dass sie als spinnerte
Naivlinge verspottet werden könnten.
Die meisten Sauerland-Pilger würden genauso felsenfest an die heilsamen
Kräfte glauben wie der Bezirksbürgermeister von Tokio, Herr
Hoito. Dieser quartiere sich jedes Jahr in Nordenau ein, meditiere mehrmals
täglich in der Grotte und fliege nach einer Woche wieder in die Heimat
zurück.
Um 9.30 Uhr hätten schon wieder Dutzende Besucher in der geheizten
Wartehalle ungeduldig auf die nächste Stollenbegehung gewartet. Darunter
auch Anand Yogendra, ein vollbärtiger Heilpraktiker aus San Francisco,
der sich noch schnell leere Limoflaschen und einen Plastikkanister zum
Füllen besorgt habe, um das Höhlenwasser für seine Patienten
in die USA mitzunehmen. Er glaube, dass ein Welterlöser, der geheimnisvolle
Maitreya, die Quelle gesegnet hat.
Auf einem Sims in der Wartehalle stehe unübersehbar eine holzgeschnitzte
Madonna mit Jesuskind. Die Schrifttafel an der Figur laute: "Nach
der Heilung von Lymphdrüsenkrebs gestiftet von Carl Muth, Erbgraf
von Jüngst."
Manche Gäste würden unbedingt einen bestimmten Platz in der
Höhle haben wollen. So auch der zuckerkranke Frührentner Klaus
Noth aus Eckernförde, der seinen Stammplatz vor der Schieferwand
hinten links habe. Laut Noth liefen genau dort Magnetfelder zusammen:
"Es kribbelt an Händen und Füssen."
An diesem Tag stand jedoch ausgerechnet dort eine Frau, die auch auf Drängen
des Rentners keinen Zentimeter zur Seite rückte.
Ein paar Meter daneben habe der katholische Pfarrer Kurt Groß ernst
auf seine von Schuppenflechte gezeichneten Hände geschaut. Seit über
17 Jahre leide der Mann aus Mertloch bei Koblenz an der Hautkrankheit
und konnte wegen Gelenkschmerzen an den Füssen kaum noch laufen.
Seit seinen regelmäßigen Besuchen einmal im Monat, nehme er
keine schweren Schmerzmittel mehr. Laut Groß seien die Strahlen
jetzt sein Medikament.
Zitat: "Ein himmlisches Wunder? Nein, nein, versichert der Priester
freundlich, mit dem lieben Gott habe seine Schmerzlinderung überhaupt
nichts zu tun. "Es handelt sich um ein geophysikalisches Phänomen."
Der Geistliche ignoriert wie die anderen Pilger auch, dass Erdstrahlen
physikalisch nicht nachweisbar sind, dass es keinerlei Instrumente gibt,
um die behauptete Strahlung überhaupt zu messen."
Kurz nach 12 Uhr mittags musste Stollenführer Himmelreich mit einem
Sauerstoffgerät in die Grotte eilen, da eine ältere Frau mit
einem Kreislaufkollaps auf ihrem Stuhl zusammengesackt war und mühsam
nach Luft schnappte. "Manchmal kippen hier drei Leute am Tag um",
sagte der Stollenführer. Solche Zwischenfälle würden den
hohen Wirkungsgrad der Strahlen beweisen: "Bevor sie richtig anschlagen,
wird die Krankheit erst mal schlimmer."
Beinahe jeden Tag würden auch Schwerstkranke nach Nordenau kommen.
Eine junge Frau mit Unterleibskrebs, deren Haare von der Chemotherapie
fast völlig ausgefallen sind. Eine Zahnarztgattin, die an Leukämie
leide. Ein Ingenieur, bei dem die Metastasen seines Lungenkarzinoms schon
überall im Körper säßen. Und alle erwarteten schier
Unmögliches.
Gestützt auf Dankschreiben ehemaliger Besucher, ließe Hotelier
Tommes inzwischen auch Meldungen über erfolgreiche Krebsbekämpfung
verbreiten. Das Geschäft mit der Verzweiflung Todkranker empfinde
der Hotelier nicht als anrüchig. Selbst manche ratlosen Ärzte
würden ihren Krebspatienten zu Sauerland-Reisen raten ("Schaden
kann es nichts", "Man soll alles versuchen"), weshalb er
ein reines Gewissen habe.
Nachdem der letzte Höhlenbesucher um 18.00 Uhr gegangen ist, muss
Stollenführer Himmelreich auf ausdrückliche Anordnung seines
Chefs noch drei Minuten lang Körper und Hände gegen den metallenen
Heizkörper im Vorraum pressen, um die ungeheure Strahlenbelastung
von vielen Stunden Stollenaufenthalt wieder loszuwerden. Dies wird "Entladung"
genannt.
Quelle: Der Spiegel, Ausgabe 49/1997
|