In
der Berliner Morgenpost vom 05. Dezember 1999 schrieb die Journalistin
Claudia Becker über Marienerscheinungen an mehreren Orten. Von tausenden
Erscheinungen habe die Kirche bislang aber nur zehn anerkannt.
In der Gnadenkapelle von Marpingen soll die Muttergottes den Beschreibungen
der Seherin Marion zufolge ein schlichtes weißes Gewand getragen
haben, um ihre Stirn leuchteten Sterne. Christine habe die Heilige Jungfrau
in jenen frühen Morgenstunden sprechen gehört. Sie soll gesagt
haben, sie sei immer bei ihnen und dass Gott alle Menschen liebe, trotz
Schwächen und Fehlern und durch Judith soll Jesus verkündet
haben, dass sich sein Herz nach der Liebe der Menschen sehne ...
Zitat: "An jenem Sonntagmorgen des 17. Oktober 1999 ereignete sich
zum 14. Mal vor Zehntausenden von Menschen, was seit Monaten Ströme
von Pilgern in die saarländische Gemeinde zog: Die 35-jährige
Justizangestellte Judith Hiber, die 30-jährige Hotelangestellte Marion
Guttmann und die 24-jährige Lehramtsstudentin Christine Ney behaupten,
ihnen würde Maria erscheinen. Und die Menschen glauben ihnen. Nicht
zuletzt deshalb, weil einige von ihnen mittlerweile selbst die Heilige
Jungfrau in Marpingen gesehen haben wollen, sondern auch wegen der wundersamen
Bekehrungen und Heilungen, die sie im Umfeld der Erscheinungen vollzogen
haben."
Eine Frau habe nach einem Besuch in Marpingen behauptet, von einem schweren
Rückenleiden geheilt worden zu sein. Für diese und viele Gläubige
sei es unbegreiflich, dass der Trierer Bischof Hermann-Josef Spital an
der Echtheit der Marienerscheinungen erhebliche Zweifel hegt.
Die Amtskirche reagiere in der Regel zunächst mehr als skeptisch
auf Marienerscheinungen.
Von den bisher historisch verbürgten Tausenden von Erscheinungen
habe der Vatikan gerade mal zehn anerkannt. Neben Fatima im Norden Portugals
und Lourdes in den französischen Pyrenäen gehöre La Salette
in den französischen Südalpen zu den bekanntesten "echten"
Erscheinungsorten.
Zitat: "Hier sahen die Kinder Mélanie Mathieu und Maximin
Giraud beim Schafehüten am 19. September 1846 eine wunderschöne
Frau, in einem Lichtkranz weinend auf einem Stein sitzend. Sie klagte
darüber, dass die Menschen den Sonntag nicht mehr heiligen und über
Religion spotten würden. Seitdem plätschert an dem Ort beständig
eine Quelle, die vorher nur sporadisch geblubbert hat."
Bevor eine Marienerscheinung vom Heiligen Offizium für glaubwürdig
erachtet werde, würden langwierige Prüfungen von Theologen,
Medizinern und Psychologen durchgeführt. In der Regel obliege dem
Ortsbischof die Aufsicht über das Prüfungsverfahren, der anschließend
dem Vatikan das Gutachten zur Entscheidung vorlege. Von vornherein keine
Chancen auf Anerkennung hätten Marienerscheinungen, bei denen die
verkündeten Botschaften nicht mit den Glaubenswahrheiten der Kirche
übereinstimmten.
Die Glaubwürdigkeit des angeblichen Sehers sei ein wichtiger Aspekt.
"Die Personen werden nicht nur auf ihre geistige Gesundheit geprüft",
sagt der Berliner Weihbischof Wolfgang Weider, "sondern auch auf
ihre Motive." Es müsse ausgeschlossen werden, dass hinter der
angeblichen Vision die Absicht stehe, aus dem "übersinnlichen
Ereignis" Profit zu schlagen, ebenso wie schlichte Profilierungssucht.
Bei der Bewertung der Tugendhaftigkeit des Sehers, die von einem Psychologen
durchgeführt werde, würde überprüft, ob es sich die
vermeintliche Demut nicht Schüchternheit, die Keuschheit nicht Frigidität
und die Andacht nicht Sentimentalität sei. Eine Familie und ein beständiges
Berufsleben würden den "Seher" von dem Verdacht auf Halluzinationen
entlasten.
Zitat: "Auch Heilungen wie Naturwunder, die vorher angekündigt
wurden, sind ein wichtiges Kriterium für die Echtheit einer Erscheinung.
Als die 14-jährige Bernadette Soubirous im Frühjahr 1858 Maria
begegnete, forderte diese sie auf, von dem Wasser einer bis dahin nicht
existenten Quelle zu trinken. Und dann entsprang die Quelle von Lourdes,
die bis heute als wundertätig gilt." Bei einem Zehntel der Tausenden
von gemeldeten Heilungen hätten Ärzte bestätigt, dass diese
mit medizinischen Maßstäben nicht erklärt werden könnten.
"Marienerscheinungen müssen an ihren Früchten gemessen
werden", betone Weihbischof Weider. "Ein wichtiges Kriterium
ist hierbei die Frage, ob die Bekehrung gefördert wird." Es
mache Weider "nachdenklich", dass etliche, religiös relativ
gleichgültige Besucher von Medjugorje in Kroatien, wo die Muttergottes
seit dem 24. Juni 1984 regelmäßig sechs Sehern erscheine, in
ihrem Glauben wesentlich gestärkt wurden. "Ich kenne sogar einen
Mohammedaner", erzähle er, "der in Medjugorje zum Christentum
bekehrt wurde."
Doch selbst wenn in Medjugorje von fortgeschrittener Multipler Sklerose
"geheilte" Menschen bezeugten, plötzlich wieder gehen zu
können - Rom habe die Anerkennung noch nicht ausgesprochen.
Wer trotz ausdrücklicher Nichtanerkennung an der Behauptung festhalte,
mit Maria im persönlichen Austausch zu stehen, müsse mit kirchlichen
Repressalien rechnen. So seien vier Schulmädchen aus Heroldsbach
bei Nürnberg exkommuniziert worden, die erklärt hatten, am 9.
Oktober 1949 in einem Birkenwald in der Nähe ihres Dorfes die Muttergottes
gesehen, mit ihr gesprochen, das Jesuskind gewogen und seine Tränen
aufgesammelt zu haben.
Zuvor habe die Kirche sie allerdings gewähren lassen. Als 50 000
Pilger an einem Tag nach Heroldsbach gekommen seien, um auf dem Erscheinungshügel
für die Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Marias zu beten,
die noch im gleichen Jahr verkündet worden sei, hätten weder
Bischöfe noch Kardinäle Einwände erhoben.
Zitat: "Wenn Marienerscheinungen beziehungsweise die Ereignisse in
ihrem Umfeld die Gültigkeit kirchlicher Lehren unterstreichen, kommen
sie dem Klerus offenbar nicht ungelegen. Das lächelnde junge Mädchen,
das umgeben von Licht 1858 in Lourdes Bernadette erschien, bezeichnete
sich als "Unbefleckte Empfängnis". 1854 hatte Papst Pius
IX. Maria per Dogma jenen Titel zuerkannt."
Auch die Erscheinung in Fatima im Frühjahr 1917 habe einer päpstlichen
Lehrmeinung überirdische Autorität verliehen: Der Seherin Lucia
habe sich Maria als "Rosenkranzkönigin" zu erkennen gegeben
und die Gläubigen zum Rosenkranzgebet gemahnt. Wenige Jahre zuvor
hätte Papst Leo XIII. die besondere Bedeutung des Rosenkranzes betont
und die Lauretanische Litanei, einen katholischen Bittgesang, um die Anrufung
"Königin des Heiligen Rosenkranzes, bitte für uns"
ergänzt.
Bevorzugt würden Marienerscheinungen in von kollektiven Unsicherheiten
geprägten Zeiten auftreten. Die Heroldsbacher Erscheinung sei in
die erste heiße Phase des Kalten Krieges gefallen. Mao hatte neun
Tage vor der Vision die kommunistische Volksrepublik China verkündet,
die DDR war zwei Tage zuvor als selbständiger Staat entstanden.
Im selben Jahr, 1949 , sei auch die erste russische Atombombe gezündet
worden. Im Februar 1950 soll die Madonna den Mädchen verkündet
haben, dass die Sowjets bald in Deutschland einmarschieren und ein neuer
Bombenkrieg ausbrechen würde. Die Erscheinungsstätte und diejenigen,
die an die Heroldsbacher Madonna glaubten, würden aber verschont
werden.
Als die 24-jährige Cathérine Labouré, Kandidatin der
Vinzentinerinnen, am 18. Juli 1830 in einer Pariser Kapelle erstmals Maria
begegnet sei, habe in der französischen Hauptstadt die antimonarchische
Stimmung gebrodelt, die dann am 26. Juli in den Ausbruch der Revolution
mündete. Die künftige Ordensfrau mag von der Angst vor dem Sturz
des Königs besonders betroffen gewesen sein, da der Zusammenbruch
der Monarchie auch das Ende des Bündnisses von Thron und Altar bedeutete,
welches der Kirche und den Klostergemeinschaften besonderen Schutz gewährt
habe. Die revolutionären Unruhen seien dann in der Tat mit kirchenfeindlichen
Aktionen einhergegangen.
Zitat: "Als Einbruch überirdischen Trostes in trostloser Zeit
mag auch die Marienerscheinung in dem französischen Ort Pontmain
am 17. Januar 1871 empfunden worden sein. Sieben Kinder zwischen zwei
und dreizehn Jahren behaupteten, am abendlichen Himmel eine schöne
Frau gesehen zu haben, die ihnen mit geöffneten Armen zulächelte.
Ihr dunkelblaues Gewand war nach Aussagen der 'Seher' mit goldenen Sternen
besetzt. Nach einiger Zeit soll am Himmel folgende Inschrift zu lesen
gewesen sein: 'Betet, meine Kinder! Gott wird euch in kurzer Zeit erhören.
Mein Sohn lässt sich rühren'. Und bald darauf endete der preußische
Vormarsch."
Die dem zehnjährigen Hirtenmädchen Lucia dos Santos am 13. Juli
1917 in Fatima von der jungen Frau in dem strahlendweißen Kleid
mitgeteilten Prophezeiungen seien düster. Maria habe zwar das baldige
Ende des Ersten Weltkrieges angekündigt, aber auch den Ausbruch eines
neuen, viel schlimmeren Krieges. Sie soll die "Weihe Russlands an
das Unbefleckte Herz" gefordert haben.
Wenn diese Bitte nicht erfüllt werde, dann würde laut Maria,
die dies wenige Wochen vor dem Ausbruch der russischen Revolution prophezeit
haben soll, von Russland viel Unheil für die Welt ausgehen. Bei einer
Prophezeiung sei Lucia vor Furcht in Tränen ausgebrochen. Zunächst
hatte sie sich geweigert, den Inhalt preiszugeben, schrieb dann aber Marias
Worte schließlich doch auf und ließ sie dem Vatikan zukommen.
Das Dokument halte Rom bis heute verschlossen.
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