Im
New Yorker Stadtteil Bronx, dem elendsten Ghetto der Stadt, vollzieht
sich unter den verschiedenen Gangs eine bemerkenswerte Wandlung. Der zweiundvierzigjährige
Hector Torres, der in New York bei seinen puertoricanischen Eltern aufwuchs,
spielt dabei eine Schlüsselrolle. 1992 hatte er ein Erlebnis, das
sein Leben völlig veränderte.
Obwohl er aus einer behüteten Familie stammte, schloß sich
Torres einer Gang an und wurde mit fünfzehn Jahren Chef einer Latino-Truppe
namens "The Bachelors". Er flog von mehreren Schulen, schaffte
trotzdem einen Abschluß und erhielt später ein Stipendium fürs
College.
Nachdem er sein ganzes Stipendium für Drogen verpulvert hatte, verließ
er das College und versuchte sein Glück als Drogendealer. Torres
machte schnell ein Vermögen und gab es ebenso schnell wieder aus,
aber weil er seine Alkohol- und Drogensucht nicht in den Griff bekam,
gab er das Dealen auf, zog woandershin und machte eine Ausbildung als
Elektroingenieur.
Eines Nachmittags im Januar 1992 mußte Torres aber wieder in die
Bronx zurückkehren. Die Tochter seines Bruders war entführt
worden, und man hoffte, der Onkel könne mit seinem bewährten
Verhandlungsgeschick dabei helfen, das Kind freizubekommen. Doch dazu
hatte er gar keine Gelegenheit mehr, weil ihn Schüsse durch Brust
und Magen niederstreckten. Er wurde ins Lincoln Hospital eingeliefert
und bei der Ankunft eigentlich schon für tot erklärt.
Als Torres nach drei Tagen aufwachte, hörte er die Ärzte darüber
reden, wie sie sein Leben gerettet hatten. Um zwei Uhr nachts wachte er
erneut auf und sah vor seinem Bett einen jungen lateinamerikanischen Assistenzarzt
stehen.
"Er hielt meine Turnschuhe hoch, die noch völlig blutverschmiert
waren, und sagte: 'Das ganze Blut hier stammt von dir. Du hast dein Blut
im ganzen Operationssaal verspritzt. Diese Ärzte haben dich nicht
gerettet, Mann. Niemand hat dich gerettet. Das war ein Wunder.' Offenbar
war dieser Assistenzarzt bei mir im Operationssaal, als die Maschine zu
blinken begann. Plötzlich war der Herzschlag wieder da, und dann
fingen sie an, mich aufzuschneiden und um mein Leben kämpften. Eigentlich
sie wollten schon die Todeszeit in die Urkunde eintragen."
Einige Monate später ging Torres noch einmal in das Krankenhaus,
um dem Assistenzarzt zu danken, aber niemand kannte ihn, und das Personal
vermutete, er müsse wohl Halluzinationen gehabt haben. Torres meinte
dazu: "Ich weiß nicht, ob es das Morphium war oder ob in dieser
Nacht irgendetwas Übernatürliches mit mir geschah, aber ich
bin seither ein anderer Mensch. Wenn man mit seiner eigenen Sterblichkeit
in Berührung kommt, tauchen auf einmal viele Fragen auf. Ich fragte
mich, warum das passiert war, was mir da gezeigt werden sollte. Ich fing
an, intensiv zu beten und war auf einmal mitten unter den 'Latin Kings'."
Er stellte auch fest, daß der Tag, an dem er gestorben und wie durch
ein Wunder ins Leben zurückgekehrt war, der 6. Januar war - der Dreikönigstag,
der wichtigste Tag für die "Latin Kings".
Nachdem er fast gestorben war, wurde Torres klar, daß er nicht umsonst
gelebt haben wollte. "Ich wollte etwas für meine Brüder
tun", sagte er. "Deshalb ging ich in mein altes Viertel zurück
und arbeite mit den Kids in der Bronx. Ich sagte zu ihnen: 'Ich war früher
in einer Gang; aber hört gut zu: Macht es nicht so wie ich.'"
Er konnte bald auch andere ehemalige Bandenmitglieder dafür gewinnen,
junge Menschen in der ganzen Stadt anzusprechen, und beschloß dann,
an den Anführer der berüchtigten Gang "The Latin Kings"
heranzutreten. Torres war überzeugt, daß, wenn sie einen anderen
Weg einschlagen und zur Verbesserung ihrer Gemeinschaft beitragen könnten,
auch jeder andere dazu fähig war.
Torres nahm mit dem Bandenführer King Tone Kontakt auf und bat ihn
um ein "spirituelles Gespräch". Sie trafen sich auf einer
Parkbank und sahen sich lange schweigend an. Dann sagte King Tone zu Torres:
"Ich hatte eine Vision, in der mir gesagt wurde, ein Mann werde kommen,
um mir zu helfen. Bist du dieser Mann?" Torres sagte, er wisse es
nicht, aber "vielleicht kann ich dir helfen, diesen Mann zu finden".
Eine Woche später arrangierte Torres ein Radiointerview, in dem King
Tone eine neue Vision entwickelte. Bald darauf wurden ihm kostenlose Räumlichkeiten
angeboten, er erhielt Unterstützung von einem Sozialdienstverein,
und der Wandel nahm seinen Lauf.
1995 nahm Professor David Brotherton, ein englischer Akademiker, der in
den USA lebt und diese Bewegung studierte hat, an einem Treffen in einer
Kirche in Harlem teil.
Er erinnert sich: "... Die Versammlung dauerte fünf Stunden,
und es müssen um die 700 'Kings' und 'Queens' dagewesen sein. Die
meisten hatten wohl die High School nie abgeschlossen, aber sie hörten
jedem, der was sagte, gebannt zu. Für mich war klar, daß das
keine Gang mehr war, sondern eine politische Bewegung.
Sie war allem, was ich je gesehen hatte, um Lichtjahre voraus, sie strahlten
Selbstvertrauen und den Willen zur Selbstbestimmung aus und die Bereitschaft,
sich für die Befreiung und Emanzipation der Armen der Arbeiterklasse
zu engagieren. Bis dahin hatte ich wie jeder andere geglaubt, daß
die Amerikaner völlig unpolitisch geworden sind, und nun merkte ich,
daß ich mich getäuscht hatte."
(Quelle: The Guardian, GB)
(Benjamin Cremes Meister bestätigt, daß der "Assistenzarzt"
Meister Jesus war, dem auch King Tone seine Vision verdankte.)
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