Die
Süddeutsche Zeitung berichtet in der Ausgabe vom 23./24.09.1995 über
das "Milchwunder". SZ-Reporter Gerd Kröneke war in London
Zeuge des Phänomens.
Er beschreibt: "Es geschehen noch Zeichen und Wunder, sogar in England,
aber die erste Nachricht kam aus Indien. Die Götter geben sich zu
erkennen, und die Menschen sind außer sich." Zeitweise sei
in Delhi und in den Städten des Nordens der Verkehr zusammengebrochen.
Sogar die Regierung hätte früher schließen müssen,
da gläubige Hindus zu den Tempeln strömten, um das immer wiederkehrende
Wunder zu sehen: den Gottheiten als Opfer dargebrachte Milch sei von diesen
angenommen und getrunken worden.
Der Korrespondent des Londoner Telegraph habe Gläubige befragt,
die meinten, dass die Statuen des Ganesha, Gott der Weisheit, und seines
Vaters Shiva, Gott der Zerstörung, zur Erde herabgestiegen seien,
um unsere Probleme zu lösen. Bei Tagesende sei Milch in der indischen
Hauptstadt knapp und teuer gewesen.
Da Indien weit weg liege, sei es ein leichtes Spiel für Skeptiker,
die vermeintlichen Wunder als faulen Zauber abzutun. Aufgeklärte
Hindus hätten Mühe, ihre Glaubensgenossen ernst zu nehmen. Chandrakant
Patel, Herausgeber einer Zeitung für die asiatische Minderheit in
London, meinte, dass er auch ein religiöser Mensch sei, aber nicht
sicher wäre, ob dies nicht passiere, weil die Menschen es glauben
wollten.
Laut Kröneke sind auch viele Londoner Hindu-Tempel von der Milch-Woge
überspült worden. Mit Milchflaschen in der Hand hätten
den ganzen Tag über Hunderte von Gläubigen vor dem Vishwa-Tempel
an der Lady Margand Road Schlange gestanden. Derweil seien Aberhunderte
im Tempel gewesen und viele von diesen hätten fest geglaubt, ein
"Wunder" erlebt zu haben.
Zitat: "'Es ist ein Wunder', bekräftigte ein Bankangestellter,
'ich hatte davon gehört und wollte es erst selbst nicht glauben.'
Der Mann, der gewöhnlich mit nüchternen Zahlen zu tun hat, erzählte,
dass er einer der Figuren einen Löffel Milch hingehalten habe, so
wie man einem Kranken seine Medizin reicht. 'Ich habe es selbst gesehen,
die Milch verschwand vor meinen Augen.' Von den Millionen Gottheiten der
Hindus hat
sich angeblich Ganesha, der mit dem Elefantenkopf, als durstigster Gott
erwiesen."
Die Gläubigen seien überzeugt, dass irgendwo auf der Welt am
Donnerstag dieser Woche ein bedeutender Mensch geboren worden sei. Eine
sehr weltliche Erklärung des Vorsitzenden der Indian Rationalists
Association, die gelegentlich falsche Fakire und komische Heilige enttarnt
habe, sei vom Delhi-Korrespondent des Independent zitiert worden.
Sanal Edamakuko sehe nur sehr viel Milch verschüttet. Es solle sich
dabei lediglich um eine Massenhysterie handeln, die von den Gefolgsleuten
eines heiligen Mannes namens Chandroswami ausgelöst worden sei. Dieser
hätte gerade einen Konflikt mit den indischen Behörden ausgetragen,
da er unter dem Verdacht stehe, einen Mörder gedeckt zu haben. Der
ganze Zauber sei initiiert, um von seiner Anklage abzulenken.
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